Sonntag, 2. Mai 2010

Michigan City

3 Wochen dauert mein neues Leben in Michigan City schon - und ich weiß nicht, wo diese drei Wochen geblieben sind. Vergeht die Zeit, je älter man wird, umso schneller? Oder liegt es daran, dass ich in meiner neuen Heimat noch so viel zu erkunden habe?

Michigan City, eine 35000 Seelen Stadt, ist ein eigenartiger Ort. Den Unterschied zwischen arm und reich bemerkt man sofort. An östlichen Ende der Stadt stehen Villen die man sich im schönsten Traum nicht vorstellen kann. Ein Großteil davon sind "nur" Wochenendhäuser der Wirtschaftselite von Chicago. Man fährt teilt die Straßen mit BMW, Audi, Porsche, Cadillac, Mercedes und Jaguar. In manchen Einfahrten stehen Autosammlungen, da überkommt mich der blanke Neid - und kurz danach der Gedanke, dass es dazu eventuell einen jungen, attraktiven und alleinstehenden Besitzer geben könnte! :-) Im Supermarkt um die Ecke findet man Dom Perignon, Kaviar und erlesene Weine - alles vom Feinsten. Der Strand ist einen Steinwurf von den oben genannten Villen entfernt; bei Schönwetter sieht man die Menschen am weißen Sandstrand spazieren und die Sonne genießen, während Gärtner die Blumenbeete bepflanzen oder den perfekten englischen Rasen mähen. Ein Stückchen weiter draußen, am See, erblickt man Yachten und Segelboote - Urlaubsfeeling pur! Und ich darf hier wohnen!! Irre!!

Fährt man ein Stückchen westlich, kommt man nach Downtown Michigan City. Ein an und für sich schöner und idyllischer Stadtkern ist vom Aussterben bedroht. Das Zentrum erstreckt sich über circa 8 Blöcke - und die Hälfte der Gebäude sind kleine Boutiquen, eine Bank, Rechtsanwälte und teure Restaurants. Die andere Hälfte steht leer. Hier trifft plötzlich arm auf reich. Ein zahnloser, abgemagerter alter Mann in zerrissenen Jeans begegnet der makellos geschminkten und perfekt gekleideten Hausfrau, die soeben von ihrer Aerobics Klasse kommt.

Noch zwei-drei Blöcke weiter westlich, und vor einem steht das Atomkraftwerk von Michigan City. Der Reaktor und die Stahlraffinierie sehen für eine kleine naive Österreicherin wie mich, die AKW's gerade mal aus dem Fernsehen oder der Ferne kennt, sehr bedrohlich aus. Und hier ist auch der problematischste Teil der Stadt: Die Häuser heruntergekommen, teilweise in einem fast unbewohnbaren Zustand. Ungepflegte Kinder spielen am Straßenrand Fussball, Rednecks fahren mit Pick-Up Trucks langsam durch die Straßen und Mexikaner und Schwarze sitzen trostlos auf ihren Veranden. Ohne Vorurteile gegen andere Kulturen und Hautfarben haben zu wollen, wird man von einem Gefühl der Beklommenheit und Unsicherheit eingenommen. Ein paar hundert Meter weiter, und ein etwa 30-jähriger Mann - eigentlich in der Blüte seines Lebens - steht am Straßenrand mit einem großen handbeschriebenen Karton in der Hand: "I am hungry. Please help me!" Jeder sieht ihn, doch niemand bleibt stehen.

Liegt es an der Wirtschaftskrise oder ist es der amerikanische Darwinismus? Eine Kultur ohne Vorsorgegedanken oder eine Politik ohne Sozialhilfe? Mit Sicherheit ist es eine Mischung aus allen diesen Erklärungsversuchen.

Wenn ich durch die tristen Stadteile fahre, kann ich mich nur glücklich schätzen, ein so privilegiertes Leben haben zu dürfen. Ich habe eine Arbeit, die mich erfüllt und mir viele Dinge ermöglicht, von denen ich als junges Mädchen nur geträumt habe. Und ich habe eine Familie, die mich in all meinen Vorhaben stets bekräftigt und mich immer wieder gehen lässt, wenn mich das Fernweh ergreift. Es ist ganz klar, ich bin auf die Sonnenseite des Lebens gefallen!

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